Kategorien
As years go by

Mai 2020 / Mai 1943

Heute war ich viel zu früh wach. Im Garten krakelte ein Vogel so laut, dass ich davon wach wurde. In meinem Garten nistet ein Amselpärchen, Madame und Monsieur, wie ich sie nenne. Aber auch ein Goldkehlchen nistet hier irgendwo, denn es ist jeden Tag in meinem Garten zu Gast.

Ich ging in den Garten, vielleicht konnte ich ja einen Grund für die laute Krakelerei entdecken. Aber alles schien in Ordnung zu sein und eine Katze war auch nicht zu sehen. Die Nachbarschaft schlief noch und ich genoss die Ruhe, die frische Luft und die ersten  Sonnenstrahlen des Tages.

Meine Pfingstfeiertage waren sehr entspannt; eine Einladung hatte ich noch nicht angenommen, denn ich taste mich erst langsam an ein normales Leben heran – so wie es vor Corona war. Aufgrund meines Alters und Vorerkrankungen gehöre ich zur Risikogruppe und da ist Vorsicht geboten …… besser als Nachsicht.

Die gewonnene Zeit nutzte ich, um ein wenig am Computer zu arbeiten. Dabei wurden  Erinnerungen an meine Mutter wach. Während ich sorglos einen schönen Tag verbrachte, kämpfte meine Mutter zur gleichen Zeit im Mai 1943, also vor 77 Jahren,  um ihr Leben.

Bombenangriff auf Wuppertal – Ronsdorf

Meine Mutter lebte damals in Wuppertal – Ronsdorf und arbeitete für einen Apotheker namens Ziesche. Dieser hatte zuvor eine Apotheke in Wermelskirchen betrieben, einer Kleinstadt im Bergischen Land. Heute findet man in diesen Räumen die Rats-Apotheke.

Meine Mutter war 22 Jahre alt, als sie bei dem Bombenangriff auf Ronsdorf und Barmen in der Nacht vom 29. Mai auf den 30. Mai 1943  schwer verletzt wurde. 

Am Abend des 29. Mai 1943 starteten von Südengland aus mehr als 700 Flugzeuge mit dem Ziel, 1.700 Spreng- und ca. 280.000 Brandbomben bzw. Phosphorbomben über Wuppertal – Barmen abzuwerfen. Kurz nach Mitternacht holten die Sirenen des Fliegeralarms die Menschen aus dem Schlaf und sie flüchteten in Keller und Bunker. Aus Richtung Köln kommend trafen die ersten Bomben allerdings zunächst auf Ronsdorf und legten Ronsdorf in Schutt und Asche.

Meine Mutter erzählte, dass sie durch eine Phosphorbombe schwer verletzt wurde.  Am zweiten Tag nach dem Angriff wurde sie auf einem Pferdekarren liegend zu Verwandten ins Bergische Land gefahren, wo man sie gesund pflegte.  Wer das organisiert hatte, welcher Art die Verletzungen waren, all das würde ich heute fragen. Als es noch möglich war, habe ich es leider versäumt.

Und warum schreibe ich das hier ? Weil die Folgen des Zweiten Weltkrieges mit mehr als 60 Millionen Toten, zerstörten Städten, Hunger, Wohnungsnot und einer traumatisierten Bevölkerung noch heute betroffen machen. Allein die Schicksale in meiner Familie waren schlimm……sehr schlimm. Um so mehr mache ich mir bewusst, wieviel Glück WIR hatten. Wir alle,  die wir in Frieden aufgewachsen sind und denen das Schicksal, einen Krieg erleben zu müssen, erspart geblieben ist.

In Zeiten, wo Rechtspopulisten an Zulauf gewinnen ist es wichtig, die Erinnerung an den Krieg wach zu halten und das, was wir älteren Menschen wissen, an unsere Kinder und Enkelkinder weiterzugeben, damit sich dieser Teil unserer Geschichte niemals wiederholt und wir weiter in Frieden leben können.

Bewerte diesen Beitrag!
[Total: 0 Durchschnitt: 0]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert